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treppe im wald
foto: GenesiS Carpe Diem
photocase.de

ich war mir sicher, dass ich mich verlaufen hatte. wenn man einige stunden im wald unterwegs ist, alleine, ohne ablenkung und nur mit der angst beladen, nicht mehr herauszufinden, dann beginnen die bäume und stümpfe und büsche und hügel eigene wesen zu werden. nicht, dass sie einem angst machen, ein wenig vielleicht. sie bewegen sich nicht umher, sie greifen nicht nach mir und ziehen keine grimassen. aber sie bekommen eigene wesenszüge, jeder für sich. der eine hat eine klaffende wunde in seiner rinde, der nächste ein perfektes muster. ein anderer zweigt seine äste ab in unnachahmlicher symmetrie, ein vierter wirkt verkümmert und traurig. hier ein stumpf mit so vielen jahrsringen, dass mir vom zählen schwindelig wird, dort ein hügel, der so geheimnisumwittert scheint, als berge er ebenso alte geheimnisse.
es wirkt beruhigend, wenn bäume vertraut werden, wenn die schreie der kauze und das poltern des spechts nicht fremd bleiben. doch es bleibt nur so lange beruhigend, bis man merkt, dass man im kreis läuft. die vertrautheit des waldes schafft nur die wiederholung. doch wiederholung bedeutet wiederkehr bedeutet im kreis laufen bedeutet verlaufen sein.
seit stunden schon lief ich umher. und einige bäume hatte ich bestimmt schon drei- oder viermal gesehen. aber wann war das? und wo war ich wieder vom weg abgekommen? alles hier schien so unberührt, so menschenleer, so gottvoll und doch -verlassen.
die sonne würde bald untergehen. hinter manchen hügeln musste sie schon kapitulieren. meine schritte wurden schneller, je länger die schatten wurden. hin und wieder meinte ich die strahlen fassen zu können, die letzten des tages. fast konnte ich sie zählen.
doch was konnte ich tun in einer fremden welt ohne einen strahl der sonne? ich schrie sie an, sie solle mir wenigstens einen strahl da lassen, nur einen. sie brauche auch morgen nicht so hell zu scheinen, sie bräuchte von mir aus nie wieder so hell zu scheinen, wenn sie mir nur in dieser einen nacht den einen strahl ließe, den einen, der stärker ist als die schatten, die sich anschickten, sich über mich zu legen.
sie erfüllte mir den wunsch nicht. aber ich hatte das gefühl, sie erhörte mich auf andere art. sie nutzte ein paar ihrer letzten strahlen, um meine hoffnung aufzuladen, auf dass sie bis zum morgen hielt. sie kämpfte sich durch einige der dunkelsten schatten, um meinen blick zu leiten.
und ich sah die treppe im wald.
es war wie eine neue welt, ein neuer wald. es war wie der richtige wegweiser im gewirr von fremden straßen, wie eine taschenlampe bei stromausfall in der nacht, wenn du nur noch eine seite im spannendsten aller bücher zu lesen hast, wie eine eintrittskarte für das konzert, in dem dir jemand einen heiratsantrag macht, wie im schneetreiben eine hütte, in der schon das kaminfeuer brennt - oder eben wie eine treppe im wald, in dem du dich verlaufen hast.
ich würde nach hause finden. so bemoost die stufen auch waren, so schlüpfrig die feuchten blätter auf den kalten steinen. die treppe kannte die richtung. ich würde nach hause finden.
 

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