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gesundheitlich geht es uns gut, bis auf ein paar alters-wehwehchen, was wir auch von euch hoffen.
der schönste satz der diesjährigen weihnachtspost.



graffiti
foto: morgenroete
photocase.de

„die mauer muss weg!“ schrie sie immer lauter, bis sie sich in rage brüllte. sie war nicht mehr aufzuhalten. „weg! sie muss weg!“
als ich sie kennenlernte hatte ich ihr eine solche wut nicht zugetraut. sie war so zart, zerbrechlich und scheu. irgendwie war sie auch stark, sie hatte so einen ausdruck in ihren augen – aber dass sich ihre stärke so entladen würde, so eruptierte, das hätte ich nie für möglich gehalten. während der monate, in denen wir zusammen waren merkte ich, dass beides stimmte. sie war sanft zu den menschen, sie hätte niemandem etwas antun können, doch sie war erbarmungslos gegenüber ungerechtigkeit. da wurde sie zur kämpferin, zur freiheitskämpferin.
heute musste ich an all das denken, an ihre zwei seiten, ihre kämpferische zartheit und ihre sanfte stärke. denn sie hatte sich wieder einmal einer sache angenommen. auf ihre ganz eigene art, selbstverständlich, quer und stark.
„sie muss doch weg“ sagte sie mir leise, als sie nach einer furiosen, dramatischen performance nach luft schnappte. „bin ich die einzige, die das denkt?“
ich bewunderte sie. sie stand ein gegen ungerechtigkeit und ließ sich nicht von denen abbringen, die schon aufgegeben hatten. gegen sie hatte sie sich besonders mit sich selbst verschworen. es waren die aufgeklärten, intelligenten realisten, die sie aufregten. die, die sätze sagten wie: „man muss die dinge so akzeptieren, wie sie sind“ und die ihr mangelnden realitätssinn vorwarfen. „nein“, sagte sie dann immer „man muss die dinge nicht akzeptieren. man darf sie nicht einmal akzeptieren. denn ungerechtigkeit wird durch soziale akzeptanz nicht richtiger. das hatten wir schon einmal in diesem land, in dieser welt. sie hätten gut in diese zeit gepasst. hätten sie auch gelbe sterne verteilt? hätte sie auch einer zerbrechlichen alten frau den sitzplatz im bus verweigert, nur weil sie schwarz ist? hätten sie auch geschrieen: kreuzigt ihn?“ sie machte sich keine freunde mit ihren spitzen. „das ist doch etwas völlig anderes!“ sagten die leute immer erbost. „eine unverschämtheit!“ „stimmt. eine unverschämtheit ist es! aber machen sie sich nichts daraus. ich schäme mich für sie mit.“
sie war schlagfertig, wenn es drauf ankam. und man hatte mit der zeit das gefühl, dass es immer mehr darauf ankam. eigentlich gab es keine minute mehr, keinen anlass, an dem es nicht darauf ankam.
sie schöpfte gerade wieder neue kraft. und unvermittelt sprang sie wieder auf. und mit großen gesten sprang sie an gegen die mauer vor sich und wie ein tollwütiger pantomime stemmte sie sich mit aller wut und aller macht gegen eine imaginäre wand. „weg! sie muss weg!“
die leute, die vorbeiliefen, blieben stehen und schauten. sie verstanden nicht, was sie tat. „warum springen sie nicht gegen die mauer? warum springen sie an ihr entlang?“ fragte irgendwann eine ältere dame. „ich finde das ja gut, dass endlich mal jemand was sagt. aber warum springen sie gegen eine mauer, die nicht da ist, wenn neben ihnen eine richtige mauer steht?“
ich hatte nichts gesagt bisher. „wissen sie“, begann ich endlich, „sie ist eine querdenkerin. wenn sie gegen die mauer springt und quer denkt bleibt sie einsam. denn entlang der mauer ist nichts außer sie selbst. aber wenn sie an ihr entlang springt, dann kann sie zwei mauern auf einmal treffen. die, die sie sehen. und die, in ihrem kopf.“
die frau schüttelte den kopf. „in meinem kopf ist keine mauer“, sagte sie, „was fällt ihnen ein?“
„mir fallen eine menge dinge ein“, sagte ich. „und ihnen? was fällt ihnen noch ein? wenn uns beiden was einfiele, dann wären wir vielleicht schon einen schritt weiter.“
sie schüttelte wieder den kopf. „querdenkerin.“ sie lachte. „querkopf wohl eher“ sagte sie und ging langsam weiter.
die kämpferin an meiner seite lachte. „das war das schönste kompliment seit langem“, sagte sie.

weihnachten.

 

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